Music for Pentecost
for choir (SATB) and instruments

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  • SATB
  • 20 min

Programme Note

Pentecost

A legend: inscrutable, rooted and seasoned in the past; a myth: which in the turning of the ages changed or discarded its old skins, rich in mystery and significance – this comes to us direct from the unconscious and via memory, taking form in the Holy Scriptures, filling us today with awe and with love.

Working with the poet Christian Lehnert, I immersed myself in the theme of the ‘Outpouring of the Holy Spirit’, with the miracle, and as it were with the healing, the saving of souls, as depicted in medieval art (for example in painting), where we find the Apostles gazing childlike into the starry heavens, searching for grace, for answers and for blessing.

In our art, Christian and I portray and present the world as we experience it today – with its unearthly storms of desert wind, with its loneliness and fears, with its longing for peace, for love, for calm of mind. A choir of many voices declares the agony of the abandoned, the eternal mourning, the loss, but also the moments of joy and delight, for these are certainly not lacking - especially not when proclaimed by the purity of young voices, filling the world with forgiveness, love, hope and radiant light.

Hans Werner Henze, Marino, 4 March 2012 (Translation: Stephen Johnson)

Christian Lehnert im Frühjahr 2013: "An den Wind" und meine Begegnung mit Hans Werner Henze
aus: 800 Jahre Thomana: Die Festmusiken, S. 26 - 29

Meine Begegnung mit dem Komponisten Hans Werner Henze geht auf das Jahr 2004 zurück. Er bat mich in einem ganz unerwarteten Anruf um ein Libretto für seine Oper Phädra. Ich war unsicher. Ich hatte mich bis zu diesem Zeitpunkt nie literarisch der Bühne zugewendet, war auf Lyrik und Essay konzentriert.

Unser erstes Treffen fand im Adlon-Hotel in Berlin statt, im Mai 2004. Ich hatte Schwierigkeiten, überhaupt in das Hotel zu gelangen. Die Portiers schauten angesichts meines zerschlissenen Rucksacks hilfesuchend zur Rezeption. Später saßen wir dann – nach einem klärenden Anruf – in seinem luxuriösen Appartement, aßen Sandwichs von der Größe eines Kronenkorkens (Henze dazu: „Typisch preußisch diese Rationen!“) und sprachen über Racine, Schillers Übersetzung, über die griechische Mythologie und die Struktur der Oper. Einer seiner typischen Sätze: „Schiller ist grauenvoll, finden Sie auch? Vielleicht sollten wir einige seiner Verse aufnehmen.“ Henze (1926 geboren) war ein alter Mann, wirkte gebrechlich, hatte schwere gesundheitliche Probleme, aber eine wache Aufnahmefähigkeit und ungebrochene Gestaltungskraft. Das merkte ich schnell.
Bis dahin hatte ich fast ausschließlich Lyrik geschrieben. Ich sagte Hans klar mein Bedenken, ob ich der richtige Autor wäre. Hans insistierte in einer für ihn typischen Mischung aus Komplimenten, Ironie und Starrsinn. Ihn faszinierten meine Gedichte, er war überzeugt - das reichte. Er suchte einen bestimmten Tonfall in der Sprache– und den meinte er bei mir zu finden.

Das wirft ein erstes Licht auf seinen Umgang mit den Worten: Dem Komponisten ging es anfangs um einen ganz bestimmten literarischen Ton. Henze komponierte stets aus der Sprache heraus und gab der Sprache in der Musik Raum. Er trat mit einer wachen, kritischen Ehrfurcht an den Text heran. So wollte von mir die Textvorlage immer in einer bestimmten Buchstabengröße auf edlem Papier – der Text war für ihn so etwas wie ein gerahmtes Bild, ein gesonderter Bezirk der Wirklichkeit. Er las ihn wieder und wieder. Er fragte nach, rief mich an, erkundigte nach einzelnen Worten. Im Falle des Pfingststücks An den Wind war das verbunden mit vielen Gesprächen über Theologie. Ich sollte ihm beschreiben, wer die Jünger waren und was sie zu Jüngern machte. Ich sollte ihm von dem Evangelisten Lukas und von der Struktur der Apostelgeschichte erzählen. Er wollte die Pfingstgeschichte immer wieder erzählt und ausgelegt bekommen, in alles Tiefenschichten – literarkritisch, theologisch, wirkungsgeschichtlich. Für mich war das eine Sprachschule theologischen Denkens in einem ganz areligiösen Raum. Wobei das Wort vielleicht nicht stimmt. Henze war zwar ein tief eingefleischter Atheist, aber mit vielen Fragen und einer zunehmenden religiösen Offenheit, die sich immer mehr verstärkte, je länger ich ihn kannte. Er suchte, und es war ihm sehr bewußt, daß er in mir einen Theologen zum Librettisten gebeten hatte. Floskeln, religiöse Standartformulierungen oder eine milieuverengte Kirchensprache verboten sich von selbst. Er sprach viel von Theologie, wobei er seine Gedanken über Gott stets mit den Worten begann: „Gott, von dem wir bekanntlich wissen, daß es ihn nicht gibt …“ Und dann konnte er diffizil theologische Fragen verfolgen, stets mit einer Mischung aus Offenheit und Skepsis. Ich war immer wieder überrascht von der geistigen Findigkeit des Komponisten.

Die letzte große Komposition Hans Werner Henzes An den Wind ist in einem besonderen Sinn geistliche Musik: Sie führt das ferne Pfingstgeschehen in eine starke Lebendigkeit und tröstende Nähe, und zwar ganz im Medium der musikalischen Schönheit und Menschlichkeit. Ein stiller Glanz erfüllt die letzten Takte. Fast will ich sagen: der Hauch einer anderen Welt, nach der sich Hans Werner Henze ganz diesseitig und sinnlich gesehnt hat, nach einer vollkommen Welt, in der Gebrechen wie Verbrechen keinen Ort haben.
Daß ein Komponist wie Henze ein geistliches Werk schrieb, war alles andere als selbstverständlich. Henze war viele Jahrzehnte Kommunist, und wenn er sich auch der Form des Oratoriums, etwa bei dem großen Werek „Floß der Medusa“ zugewendet hat, dann in einem bewußt weltlichen Sinn und eher, um den Adel der Gattung zu transferieren. Anders jetzt: Henze schreibt eine wirklich Auseinandersetzung mit dem Glauben, in geradezu mystischer Innerlichkeit.

Mein Text besteht aus einer Reihe von Gedichten, die einen gewissen Erzählzusammenhang bilden. Auch für mich war die Auseinandersetzung mit Pfingstgeschichte in dieser Form etwas ganz Neues. Ich ging einer Bewegung nach, einem Geschehen, eben jenem Geistgeschehen vor knapp 2000 Jahren, das die Worte übersteigt oder unterwandert, jedenfalls an einen Grenze führt, an der das Wort „Verständlichkeit“ nicht mehr so angewendet werden kann, wie wir es normalerweise tun, als paraphrasierendes Nacherzählen von Inhalten. Ich habe neuerlich erlebt, wie eine poetische Auseinandersetzung tiefer in den Text führt als jede theologisch-begriffliche Reflexion.

Der erste Teil ist ein „wirrer Klagegesang“ der Jünger nach dem Abschied von ihrem Herrn. Gott fehlt. Er ist weg. Gewißheiten verlieren sich. Ein einstmals fester Bezugspunkt, Gott, gerät in den Raum der Subjektivität, in die Erinnerung, wird fragil – eine Situation, wie wir alle vielleicht kennen. Dieser erste Teil bewegt sich für mich nah an einer heutigen spirituellen Situation. Viele religiöse Menschen haben zunehmend das Gefühl zurückzuschauen und Spuren des Vergangenen zu folgen, und das heißt eben (das sagt die Metapher der Spur): von etwas, das fehlt, das anwesend abwesend ist, und weil da etwas fehlt, ist alles auch offen – ein Grund der Hoffnung. Die Spur ist für religiöse Menschen eben auch die Stätte, wo Gott jederzeit und unverfügbar geschehen kann. Die Jünger singen in so einer Situation der Gottesferne. Der Ort ist (ein Kunstgriff) verlagert auf die Schädelstätte, Golgatha. Jeder der elf Jünger kommt zu Wort, in unterschiedlichen Klangkonstellationen, in denen Henze bezeichnend über die Sprache hinausgeht und eigene musikalische Seelenerzählungen schafft. Es geht um Gottesabwesenheit und Gotteserwartung - wie auch in unserer Zeit, die gleichermaßen nachreligiös wie nachsäkular ist.

Der zweite Teil und der dritte Teil des Stückes bilden ein Gebet. Grundlage ist der lateinische Hymnus Veni creator spiritus. Ich habe versucht, den Hymnus kreativ und doch dem Text verpflichtet in heutige Sprache, ja auch heutige religiöse Vorstellungswelt zu übertragen. Dabei war ich einigen Punkten sehr frei – doch stets, so hoffe ich, im Sinne der „Genauigkeit“ der Übersetzung, die ja nicht allein in einer Textgenauigkeit besteht. Etwa, wenn ich schreibe: Durch dich laß uns verstehen, was Gott sei … dann verlasse ich das lateinische Original, aber ich glaube, daß die Verse so sprechender werden in einer Situation, wo Gott immer mehr gesucht als gefunden wird, immer stärker die Gestalt einer Frage und einer Sehnsucht, also einer Lebensrichtung hat, als die einer fraglosen, statischen Gewißheit…

Der vierte Teil begibt sich nun ganz theatralisch hinein in die Pfingstgeschichte. Ihr Autor, Lukas, stand selbst vor der Aufgabe, das Unsagbare in Worte zu holen, und er verwendete Bilder: Feuer und Zungen. Ich gehe ihnen nach. Der Text lodert. Scheite zerspringen. So ist auch die Syntax: brachial. Es geht ein Feuer. Kurze Zeilen, komplexe Wortbildungen, alles im Zustand dichter Unzugänglichkeit – wie Feuer. Das Brennen mündet in Asche. Was geglaubt wurde, zerfällt zu Asche. Was sagbar war, zerfällt zu Asche. Der neue Glaube ist durch ein Feuerbad gegangen, das Gewißheiten auflöste und den unfaßlichen Gott hereintrug, was eine tröstende und eine zerstörerische Seite hat. Ein Ereignis, ohne Herleitung und ohne Begründung. Dieser Gott ist ambivalent: ein kreisendes Feuer und ein Aschegott!

Der letzte Teil des Werkes ist mit „Choral“ überschrieben und auch so gearbeitet. Es geht um eine Taube – das Bild des Heiligen Geistes, nun aus dem Symbol in die Sinnlichkeit zurückgeführt, wobei das Symbol nachklingt. Es handelt sich um einen Moment am Morgen, eine Atmosphäre der Schöpfungsfrühe. Es dämmert, aber man sieht noch nichts. Die Dinge tauchen im ersten blauen Lichtschein in ihre Formen ein, als Umrisse, später erst in jener gewohnten Weise, die wir Wirklichkeit nennen. Es ist zugleich die Dämmerung einer neuen Welt. Sie ist schon da, aber noch verborgen … der Vogel schläft noch, aber gleich wird er erwachen und auffliegen …

Die Arbeit an einem Libretto ist von vornherein ein Gespräch. Noch dazu ein Gespräch nach vielen Seiten. Das ist seine Besonderheit. Bevor ich mit Henze zusammenarbeitete, hatte ich die romantische inspirierte Vorstellung, Sprache und Musik seien miteinander verwandt. Die Sprache sei die jüngere Schwester der Musik und des Tanzes. In der Arbeit mit Henze habe ich bemerkt, daß beide, Musik und Sprache, zueinander in einer tiefen Spannung stehen - sie können sich finden, aber das ist in ihnen nicht angelegt. Musik ist ein Verlauf, Sprache eine Setzung. Im Anfang war das Wort. Aber die Musik fragt: Was gab es vorher?

Die Worte nehmen der Musik etwas weg an Offenheit, aber sie fügen ihr auch etwas hinzu, was die Musik an sich nicht hat: einen semantischen Ort, eine Weltverwurzelung und Gegenständlichkeit. Die Musik anderseits nimmt den Worten etwas von ihrer uranfänglichen Kraft der Benennung, ihrer Magie. Die Musik schenkt den Worten eine andere Tiefe, die ihnen so nicht eigen ist. Beide stehen in Konkurrenz, fast in natürlicher Feindschaft. Wenn Sprache und Musik zusammenkommen, kann das, wie eine Beziehung zwischen Menschen, gelingen oder mißlingen. Das liegt an den Umständen und der inneren Kraft beider, vor allem vielleicht an der Ausgewogenheit in den Kräften beider. Sprache und Musik sind vielleicht wie zwei Pole unseres Bewußtseins – wie die begriffliche und die mystische Seite einer Religion.

(c) Christian Lehnert

Scores

Discography